Der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft war in den letzten Wochen einer der gefragtesten Gesprächspartner, wann immer es um die Beschränkungen der Freiheit ging. Denn gerade die Wirtschaft hatte und hat in der Krise besondere Lasten zu tragen. Unternehmen übernehmen ihren Teil der Verantwortung, genauso wie es der Staat tut. Was das besondere Miteinander von Staat, Gesellschaft und Markt ausmacht, beschreibt Prof. Dr. Michael Hüther in seinem Beitrag für F.A.Z. MEDIA, den Sie auf dieser Seite lesen können.
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Ist die Freiheit in Verruf geraten?
Warum Soziale und nicht freie Marktwirtschaft?
Die Marktwirtschaft ist in Verruf geraten. Die globale Wirtschafts- und Finanzkrise 2009 hat erheblichen Reputationsschaden verursacht, der Klimawandel erscheint vielen als Überforderung des Systems. Die freiheitliche Wirtschaftsordnung steht nicht allein in der Kritik. Die Demokratie erfährt ebenso einen Ansehensschwund – infolge des Kontrollverlusts in der Wirtschaftskrise wie in der Fluchtkrise und wegen unterstellter Überforderung durch die klimapolitische Herausforderung. Ist gar die Freiheit an sich in Verruf geraten? Folgt man medialer Inszenierung und öffentlichem Protest, dann scheint es fast so. Demokratie und Marktwirtschaft gemeinsam zu denken, hat überdies an Selbstverständlichkeit verloren. Spätestens seitdem der chinesische Weg, die kapitalistische Wirtschaftsweise in die Diktatur des Volks zu integrieren, sich (vorerst) als wirksam erweist.
Wenn Orientierung schwerfällt, dann ist ein Rückgriff auf die historischen Wurzeln empfehlenswert. Das verweist auf die Aufklärung, die das Individuum, seine Freiheit, seine prinzipielle Gleichheit und seine Schutzwürdigkeit sowie Schutzbedürftigkeit in den Mittelpunkt philosophischer Spiegelung rückte. Auf dieser Basis konnte die Selbstermächtigung der Menschen durch die großen Befreiungsrevolutionen in England im 17. Jahrhundert sowie in Amerika und Frankreich im 18. Jahrhundert selbstverständlich werden. Wirksam als Konzept der Lebensgestaltung wurde es infolge der industriellen Revolution, die vor 200 Jahren durch Kapitalintensivierung Bevölkerungsdynamik und Wohlstandsmehrung in Einklang brachte.
Die Idee einer freien, ungeregelten Marktwirtschaft wurde dabei von Anfang an relativiert. So sorgte sich Adam Ferguson, Zeitgenosse von David Hume und Adam Smith, darum, wie die „civil society“ – der Raum aktiver Bürgertugenden – mit der „commercial society“ vereinbar sei. Eine Antwort liegt in der von Adam Smith betonten Verbindung von Eigennutz und Wohlwollen, von Gewissen und Selbstregulierung sowie der Fähigkeit des Menschen, die Gefühle seiner Mitmenschen nachzuahmen und damit zu verstehen. Die ökonomischen Denker der Moderne erkannten von Anbeginn die Frage der sozialen Akzeptanz und damit der politischen Verbindlichkeit marktwirtschaftlicher Steuerung.
Staat, Gesellschaft und Markt als zentrale Bauelemente der sozialen Ordnung entspringen in der Geschichte Europas den gleichen Quellen. Das dadurch Verbindende bleibt unverändert aktuell: Selbstermächtigung des Menschen und unveräußerliche Menschenrechte, Herrschaft des Rechts und Volkssouveränität, repräsentative Demokratie und Gewaltenteilung, Privateigentum und Vertragsfreiheit, Haftung und Regelgerechtigkeit. Unverändert muss es darum gehen, gute Regelwerke und Institutionen zu schaffen, die intensiven Wettbewerb und damit Missbrauch sowie Machtbildung unterbinden. Ebenso gilt, dass dadurch individuelle Moral nicht eingespart werden kann. Das verlangt die Konsequenz, in allen sozialen Systemen – Staat, Gesellschaft und Markt – die Freiheitsbefähigung an die Selbstverantwortung zu binden. Bildungspolitik, eine subsidiäre Politik im Umgang mit den großen Einkommensrisiken sowie ein sozial verträglicher, inklusiver Ausgleich durch Umverteilung sind ebenso gewichtige Antworten.
Auch darf nicht übersehen werden, dass die sozialen Systeme nur im Miteinander funktionieren, wenn ihre interdependenten Ordnungen konsistent sind. Dafür muss die schutzwürdige Privatheit gleichermaßen geachtet werden, was in Zeiten täglicher digitaler Spuren des Einzelnen, sozialer Netze und Echtzeit-Transparenz eine große Herausforderung ist. Die politische, soziale und ökonomische Selbstermächtigung des Menschen ist heute besonders voraussetzungsstark. Souveränität und Partizipation in der digitalen Welt verlangen eine Neudefinition des Sozialen. Neben
Bildung, Wettbewerb und sozialer Sicherung tritt der effektive Schutz der Daten-Privatheit durch Wettbewerbsregeln für Plattformen sowie die Sicherung gesellschaftlicher Diskurse und politischer Verfahren gegen Manipulation.
Die Freiheit des Einzelnen setzt eine soziale Ordnung und Steuerung des Ganzen voraus. Ebenso ist niemand aus seiner Selbstverantwortung sowie der Mitverantwortung entlassen. Dass dies unter normalen Bedingungen Zeit kostet, in der Regel mehr als in undemokratischen Regimen, wirkt nicht gegen die freiheitlichen Systeme, sondern stabilisiert diese durch große Integrationsfähigkeit. Das gilt gerade auch mit Blick auf die klimapolitischen und digitalen Herausforderungen. Wir brauchen „einen gemeinsamen Sinn für ein gemeinsames Interesse“ (David Hume). Das Soziale an der Marktwirtschaft ist solchermaßen zwingend.